Gerade die Vielseitigkeit unseres Hobbys mit all seinen Facetten und möglichen Spielstilen ist eher ein Segen als ein Fluch, weil dadurch jeder Spieler das Rollenspiel (und das beinhaltet jetzt mal allles von ARS bis hin zu spielleiterfreies Spielen) so spielen kann, wie es ihm Spaß macht.
Diese Vielseitigkeit ist es, die mir das Hobby Rollenspiel auch nach bald 30 Jahren immer noch FRISCH und interessant erscheinen läßt. Da kommt keine Langeweile auf, da hat man nichts "ausgereizt", da entdeckt man immer wieder Neues (aus persönlicher Sicht - vieles war ja schon mal da gewesen, aber man kann nun wirklich nicht alles und nicht auf alle Arten gespielt haben).
Weiterhin behaupte ich, dass die hitzigen Diskussionen um verschiedene Spielstile und die Behauptung einige seien besser als andere für unser Hobby eher kontraproduktiv sind, weil sie die Szene spalten und sie mit einer unschönen, aggressiven Atmosphäre belegen, die potenzielle Neulinge abschrecken kann ... zumindest diejenigen die sich in unsere Internet-Szene verirren.
Welche "Szene" sollen denn solche INTERNET-Diskussionen "spalten" können?
DIE Rollenspiel-Szene gibt es eh nicht. - DIE Rollenspieler sind auch heute in Zeiten der Allgegenwart von Internet und Flatrates immer noch diejenigen, die NICHT ständig durch die Internetforen wandern, NICHT von einer Blog-Insel zur anderen die dortigen Einsiedler besuchen gehen, NICHT die Verlagsforen nach neuesten kleinen Happen neuer Produkte belauern.
DIE Rollenspieler sind in der Mehrzahl diejenigen, die einfach nur spielen. Mehr wollen sie nicht. Mehr Aufwand wollen sie mit dem Hobby auch nicht betreiben. Doch spielen sie auch seit Jahrzehnten GERNE Rollenspiele. Nur eben ohne das starke (Internet-)Engagement.
Effektiv gibt es eh nur eine "Internet-Rollenspiel-Szene". Und hier sind die "Intensivtäter" zu finden. Diejenigen, die NICHT "nur spielen" wollen, sondern mehr über das Hobby an sich wissen wollen, die sich mit anderen Rollenspielern austauschen wollen, die Autoren, Zeichner, Theoretiker, Ratgeber usw. ansprechen wollen, die einfach AKTIVER mit dem Hobby umgehen wollen.
Das MUSS man nicht, sondern das KANN man tun. Es ist die eigene, freie Entscheidung, wie tief man sich in diesen Internet-Dschungel aus Foren, Blogs, Wikis, Verlagswebauftritten, usw. begibt. Und auch wie lange und wie aufwendig man dies tut.
Warum geht denn jemand auf gleich mehrere, verlagsunabhängige Foren und erstellt dort Beiträge? Warum macht sich jemand denn die Mühe Rezensionen, Spielerfahrungsberichte, Neuigkeiten, Meinungen, Tipps usw. ins Internet zu stellen?
Wenn es nur um "Produktinformation" ginge, dann wäre man ja mit den Verlagsseiten und ggf. noch ein paar Rezensionsseiten (wie Boardgamegeek) vollauf bedient. Für mehr gibt es keine Bedarf.
Wirklich nicht?
Die Rollenspieler, die sich AKTIV im Internet (und früher schon in anderen Medien wie Fanzines) engagieren sind die "Power-User" des Rollenspielhobbys. Sie sind LEIDENSCHAFTLICHE Rollenspieler.
OHA!
Leidenschaftlich? - Das kann ja NICHTS GUTES heißen. - Jedenfalls nichts Gutes, wenn man sich auf die Funktion des Internets als rein rationale, emotionsfreie, unpersönliche Wissensaustauschinfrastruktur berufen wollte.
Jedoch ist das Internet für zwei Dinge geschaffen worden: Für Pornographie und zum Streiten. - Alles andere sind Nebenanwendungen, die zwar ganz nett sind, aber nicht wirklich das Übergewicht der Nutzung darstellen.
Nun hat man einen Haufen "Power-Rollenspieler", Enthusiasten, ja geradezu FANATIKER im Rollenspielhobby, die sich stark engagieren, die aber aufgrund ihrer Leidenschaft auch STARKE POSITIONEN vertreten. Und dann hat man ein Medium, wo man die Leute nicht sieht, wo man allein die Schriftsprache (und ggf. ein paar Bilder, mal eine Videokonserve) als "Gesicht" hat.
Was gibt diese Kombination aus "Nitro" und "Glyzerin", wenn man sie ein wenig durchs Netz schüttelt?
BÄNG!!!
Genau.
DIE "Szene" gibt es nicht. - Es gibt nur die Szene der "Extremisten". Das sind diejenigen, die ständig im Internet in Rollenspielforen, -blogs, -wikis, usw. präsent sind.
Diese sind ENGAGIERT, sie IDENTIFIZIEREN sich mit dem Hobby mit einer enormen Leidenschaft, und sie haben alle einen anderen GESCHMACK, was die Ausübung ihres Hobbys anbetrifft.
So etwas MUSS krachen!
Vergleichen wir das doch mal mit den vermeintlich andersartigen Foren der chinesischen, inneren Kampfkünste. Dort üben sich die Leute in ihrem Hobby Taijiquan, Xingyiquan, Baguazhang im NICHTKONFRONTIERENDEN Umgang mit Gegnern. Man lernt nicht dagegen zu halten, sondern die Energie des anderen aufzunehmen, umzuleiten usw. - Außerdem wird intensiv Meditation geübt.
Und MIR sind die üblichen Neijia-Foren ZU AGGRESSIV!
Ich bin da ausgestiegen, weil ich die Unmenge an PISSE, die dort ständig in die Tastaturen gelangt, nicht mehr ertragen konnte!
Auch in diesem Hobby sind es NICHT die Normal-Aktiven, sondern die EXTREMISTEN, die Lehrer, die Meisterschüler, die Theoretiker, die Enthusiasten, die Engagierten, diejenigen, die sich mit dem Neijia-Hobby so identifizieren, daß nahezu ALLES, was von irgendwem irgendwann gesagt oder geschrieben wird, PERSÖNLICH genommen wird.
Und diese Gruppe an im Training eigentlich entspannten, nicht-aggressiven Leuten beschimpft sich via Internet auf eine Weise, wie ich es in NOCH KEINEM EINZIGEN Rollenspielforum erlebt habe. - Rollenspiel-Fanatiker im anonymen Internet sind ein Ausbund an Verstand, Fairness, Respekt und Zurückhaltung dagegen!
Nebenbei: Es kommt regelmäßig zu den HEFTIGSTEN Auseinandersetzung zwischen Vetretern DESSELBEN Stils! Sind die Stile soweit verschieden, daß kaum gemeinsame Berührungspunkte existieren, die zu STREITPUNKTEN werden können, gibt es so etwas wie eine friedliche Koexistenz.
Solche "berührungspunktefreien" Zonen gibt es im Rollenspielhobby kaum. - Das wären dann eher GANZ ANDERE Hobbys (mit ihrem eigenen Streß), wie z.B. Tabletop-Spiele, Brettspiele, Kartenspiele, Computerspiele, usw.
Eine solche Zone ist meiner Meinung nach das LARP. - Es gibt jede Menge NUR-LARPer, die KEIN Pen&Paper-Rollenspiel spielen. Denen geht der gesamte Streß über Spielstile und Rollenspieltheorie für Leute, die am Tisch rumsitzen und "nur so tun, als ob", statt in Gewandung und mit Schwert in der Hand im Wald herumzulaufen und "echte" Orks zu plätten, ziemlich am Arsch vorbei. - Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich kann den Streß, den sich die lokalen Vampire-LARP-Gruppen gegenseitig geben, überhaupt nicht nachvollziehen und mir ist das auch völlig egal, weil von denen kaum ein Zehntel auch Pen&Paper-Rollenspiel spielt.
Gehören eigentlich LARPer überhaupt zur "Der Szene", wie sie im Eingangsbeitrag genannt wurde? - Und was ist mit MMORPG-Rollenspieler?
Meines Erachtens gibt es Rollenspiel an sich in MEHREREN UNTERSCHIEDLICHEN HOBBYS. Eines davon ist das "Tisch-Rollenspiel" ohne Computer und Netzinfrastruktur, ohne Gewandung und Pömpfen. Das ist effektiv ein anderes Hobby mit Berührungspunkten, aber (fast) ohne STREITPUNKTE.
Gestritten wird am meisten in der eigenen Familie.
Untereinander, da wo man WEISS, oder zumindest sich gut vorstellen kann, wie der anderen FÜHLT, da kochen die Emotionen hoch.
Ob das jetzt Anfänger, Einsteiger abschreckt? - KEIN STÜCK!
Weil Anfänger, Einsteiger eben (noch) NICHT zu den "Intensivtätern" mit mehreren Stunden Rollenspiel-Internet-Aktivität zählen und sie so die "familiären Streitigkeiten" überhaupt nicht mitbekommen. - Das trifft auch auf Einsteiger über Rollenspielvereine zu, da auch die meisten Vereinsmitglieder zur Gruppe der "Normal-Rollenspieler" zählen, die was Besseres zu tun haben, als sich im Internet über ein SPIEL aufzuregen.
Letztlich bleibt der Zwist über Spielstile, Theorien, Neuauflagen von Produkten, Verlagspolitik, Autoren, Cons, und was nicht noch alles, im Rahmen einer relativ kleinen Untergruppe derjenigen, die das Rollenspiel als Hobby betreiben (oder sich als Profis sehen).